Andacht Oktober 2012

03. Oktober 2012

Was trägt uns?

- „Toi, toi, toi!“, sagt mir die Patientin und klopft auf den Holztisch, als ich sie frage, wie sie sich denn nach ihrer Operation fühle. Und ich muss schmunzeln, dass sie solch einen alten Abwehrzauber benutzt um mir zu sagen: „Es wird im Ergebnis schon gut gehen und gelingen!“ - „Man darf es nicht beschreien“, antwortet der Pfleger und sieht sich etwas unsicher um, als ich mit ihm feststelle, dass ausnahmsweise zurzeit auf Station einmal nicht ganz so viel zu tun ist. Als würde irgendwo in der Nähe jemand sitzen, der unser Gespräch doch hören könnte und die Macht hätte, einzugreifen und Arbeit heraufzubeschwören. - Und wieder stelle ich fest, dass Menschen – mich selbst eingeschlossen – zuerst gern auf magische Deutungsmuster zurückgreifen, wenn ihr Leben schwierig, unübersichtlich oder einfach nur kaum deutbar erscheint. Es ist, als ginge es damit los, sich um Verstehen zu bemühen, indem die kindlichen Grundmuster aktiviert werden, in denen noch alles mit allem verbunden und irgendwie auch beseelt ist.

- „Womit hab’ ich das verdient?“, fragt mich ein Patient, der immer wieder mit verschiedenen Gesundheitseinbrüchen zu kämpfen hat. Im Gespräch dann stellt sich heraus, dass er sich von Gott verlassen, manchmal sogar bestraft fühlt. Er wird den Eindruck nicht los, etwas falsch gemacht zu haben. In dieser Annahme lässt er sich auch zunächst nicht beirren. - „Wieso? Das macht man eben so, da muss man operieren“, sagt die Ärztin, als ich im Auftrage einer Patientin in ihrer Gegenwart noch einmal nachfrage, welche verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung es für diese Erkrankung gibt. Später stellte sich heraus, dass ärztliche Kollegen schon noch andere Wege der Behandlungsmöglichkeiten sahen. - „Ursache und Wirkung, es geht immer um Ursache und Wirkung!“, sagt der Chirurg, als er mit Kollegen einen Unfallhergang und seine Folgen für den Patienten bespricht, da einige Verletzungen aus dem bekannten Unfallverlauf nur sehr schwer zu erklären sind. - Die Gesundheits- und Krankenpflegeschülerin ruft mich an und macht es sehr dringend, eine Patientin würde immer wieder weinen und sei auch sonst sehr ‚überlagert’, ob ich nicht einmal herausbekommen könnte, was denn da los sei, die Patientin würde einfach mit niemandem sonst richtig reden und sei wohl seelisch sehr angeschlagen.

Diese fünf Deutungsmuster für unser Leben begegnen mir in unterschiedlichen Formen immer wieder, das mythologisch-magische, das theistische, das ideologische, das wissenschaftlich-weltanschauliche und das psychologische Muster. Natürlich gibt es da auch viele Mischformen. Aber was trägt uns, was tröstet, ermutig und orientiert uns wirklich? Niemanden wird es überraschen, wenn ich nun von meinem tiefen Vertrauen zu und von meiner Geborgenheit in dem Gott spreche, den Jesus von Nazareth liebevoll Abba, Papa, nannte. Sicher, auch dieser Glaube will ein Leben lang eingeübt werden, er erlebt Brüche und Zweifel. Trotz allem habe ich nichts als so befreiend, tröstend und ermutigend erlebt, wie dieses Vertrauen.

Pastor Martin von der Brelje
Seelsorger im Klinikum Bremerhaven