Andacht August 2015

05. August 2015

Ein Umschlag

Neulich im Seniorenkreis. Kleine Andacht vorneweg. Ich lese den Psalm, der zu dem hinter uns liegenden Sonntag gehört, weil der ja auch zu dieser Woche gehört: Psalm 139. „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Dieser Spruch und etliche andere sehr schöne Sprüche stehen im 139. Psalm. Für manche kann ich mich geradezu begeistern. Konfirmandinnen und Konfirmanden wählen gern aus dieser Fülle: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Oder Eltern von Täuflingen: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“

Diese und noch mehr Verse habe ich bei der Andacht im Seniorenkreis gelesen. Und dann aber auch diese: „Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten! Dass doch die Blutgierigen von mir wichen! Denn sie reden von dir lästerlich, und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut. Sollte ich nicht hassen, Herr, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.“ - Diese Verse sind im sonntäglichen Psalmgebet weggelassen. Dennoch sind sie Teil des 139. Psalms. Sie stoßen uns ab in ihrem Hass. Und wenn nicht das, dann befremden sie uns oder machen uns ratlos. Wie gerät so etwas zwischen diese wunderbaren Verse des Psalms, die auf poetische Weise davon sprechen, dass Gott immer bei mir, dass ich immer bei Gott sein werde?

Der Beter des Psalms scheint selbst erschrocken zu sein über diesen bösen Ausrutscher (falls dieses Wort nicht zu harmlos ist). Denn mit den anschließenden letzten beiden Versen stellt er sich auf eine Art Prüfstand vor Gott: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“

Mit diesem Eindruck wandten wir uns im Seniorenkreis Kaffee und Kuchen zu. Danach ging es an das Thema des Tages, das schöne Sommerlied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“. Darüber gerieten wir ins Schwärmen über die Schönheit und Wunder der Schöpfung. Vogelgezwitscher, wenn man mal genau hinhört; selbst einfache Blüten von Blumen zeigen große Schönheit, wenn man sie näher betrachtet - es fanden sich etliche Beispiele. Und immer wieder einmal zwischendurch kam eine Teilnehmerin darauf, dass manche Leute oder die jungen so gar kein Auge für solche Schönheiten hätten, die würden ja immer nur mit ihren Kopfhörern im Ohr durch die Gegend laufen, sie wüssten gar nicht mehr ... hätten kein Verständnis ...

Und mir ging auf (und ich sage es auch): Was hier gerade passiert, scheint mir gar nicht so viel anders zu sein als das, was wir eben mit Erschrecken im Psalm gelesen haben. Das Schwärmen über etwas schlägt übergangslos um in Schimpfen über die, die das nicht erkennen. - Einmal darauf aufmerksam geworden, fiel uns dieser Umschlag noch ein paar Mal an diesem Nachmittag auf. Und wir hatten jetzt eine Ahnung davon, wie dieser „Ausrutscher“ in den Psalm gelangt sein mag.

Matthias Schäfer – Martin-Luther-Kirche Wulsdorf